
Trotz monatelanger Streiks steigt das Rentenalter in Frankreich an diesem Freitag auf 64 Jahre.
Hunderttausende, bisweilen mehr als eine Million Menschen sind in Frankreich im Frühling auf die Straße gegangen, um gegen die Rentenreform zu protestieren – wieder und wieder. Im ganzen Land bildete sich die massivste Sozialfront der letzten Jahrzehnte. Abgelegene Dörfer erlebten erstmals überhaupt eine „manif“, eine Demonstration, und in Paris kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei.
Allerdings ließen es die Gewerkschaften nie zum Äußersten kommen: So mächtig sie auftrumpften, nie struggle ein Sturm auf den Elysée ein Thema. Auch nicht, Präsident Emmanuel Macron in seinem Palast zumindest den Strom abzustellen. Sogar die politisch radikale CGT blieb republikanisch, so wie es ihre Mutterpartei, die Parti Communiste, in Frankreich aus Custom ist.
Rentenreform mit der Brechstange
Diese Haltung, die den trittbrettfahrenden Schwarzen Block bei den Demonstrationen erfolgreich isolierte, bewirkte aber letztlich die Niederlage der Gewerkschaften: Macron konnte die Proteste aussitzen und auf Zeit spielen. Dabei hat seine Partei in der Nationalversammlung nicht einmal eine Mehrheit; der Präsident musste die Reform deshalb über die Köpfe der Parlamentarier:innen hinweg mit dem Verfassungstrick des Artikel 49-3 durchdrücken. Als der Verfassungsrat den Einsatz dieser institutionellen Brechstange im April genehmigte, hatte die Linke keine Handhabe mehr.
Intestine vier Monate später, an diesem Freitag, tritt die Reform nun in Kraft. Die zwei wichtigsten Neuerungen: Das Rentenalter steigt von 62 auf 64 Jahre. Zudem entfallen die vorteilhaften Regelungen für die Pariser Metroangestellten RATP, den Staatskonzern Electricité de France (EDF) oder die Banque de France.
Die zahlreichen Ausnahmen, die Macrons Premierministerin Elisabeth Borne den Gewerkschaften zugestehen musste, zeugen allerdings von der Härte des Konfliktes. Wer schon mit 17 oder 18 Jahren ins Berufsleben eingestiegen ist, geht entsprechend früher in Rente. Die Mindestrente beträgt nun 848 Euro, hundert mehr als bisher. Mütter erhalten fünf Prozent mehr Rente. Körperlich harte Arbeit schafft Anspruch auf Weiterbildung. Viel gerechter ist das neue Rentensystem damit aber nicht geworden.
System der französischen Rente bleibt trotz Reform sehr teuer
Auch wenn sich der Ruhestand nun mit 64 Jahren dem europäischen Schnitt annähert, bleibt das System der französischen „retraite“ wegen der vergleichsweise hohen Pensionen sehr teuer. Was ihre Zukunft betrifft, sind die Französinnen und Franzosen skeptisch: Laut einer Umfrage wollen 84 Prozent vor allem Jüngere zusätzlich zur staatlichen Pension eine personal Rentenversicherung abschließen. Die Kapitalisierung dürfte damit durch die Hintertür auch in Frankreich Einzug halten, obwohl Macron wie die gesamte Linke an dem bisherigen Umlageverfahren festhalten will.
Und Emmanuel Macron? Der 2022 wiedergewählte Präsident hat sein wichtigstes Wahlversprechen gegen heftigsten Widerstand eingelöst. Doch die Pariser Medien sprechen, wenn überhaupt, von einem „Pyrrhussieg“. Unpopulär, weil er die Reform gegen klare Umfragemehrheiten in Kraft setzt, und ohne Parlamentsmehrheit, wirkt der Staatschef angeschlagen, ja ausgebrannt. Seine vier verbleibenden Jahre im Elysée bis zu den Neuwahlen scheinen derzeit wie eine Ewigkeit.