An der Börse ist gelegentlich von der Perfektion der Märkte die Rede. Alles ist effizient, Nachrichten werden sogleich rational in die richtigen Kurse umgesetzt. Dass das blanke Theorie ist und mit der Wirklichkeit nur bedingt in Einklang steht, ahnen die meisten. Doch der Grad der Intransparenz, der Unwissenheit und damit der Ineffizienz überrascht an mancher Stelle dann doch.
Dazu ist ein Gespräch mit Patrick Tobias sinnvoll, der bei S&P World in der Abteilung Market Intelligence arbeitet. Das ist ein Geschäftsbereich des amerikanischen Unternehmens, der nichts mit den Scores und den Indizes des Unternehmens zu tun hat, wohl aber mindestens einen solch großen Datenschatz hütet wie die anderen Abteilungen des Hauses. „Wir haben viele Mitarbeiter, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als den Fluss des Geldes zu beobachten“, sagt Tobias. „Wer kauft Wertpapiere, wer verkauft.“
Diese Besitzstrukturen zu kennen ist für Kunden bares Geld wert. Wer zum Beispiel mit seinem Unternehmen an die Börse gehen will, braucht Informationen, welche Anleger sich für Unternehmen aus der Branche interessieren könnten, wie sie zuletzt agierten. „Manche verlassen sich dabei auf Banken, die schon die richtigen Ansprechpartner kennen sollten, aber wir bieten in der Regel einen tieferen Blick in die Marktstrukturen und vor allem einen neutralen, der die Lage schildert, wie sie ist.“
Unternehmen kennen ihre Gläubiger nicht
Die Market Intelligence von S&P wird vor allem genutzt von Unternehmen, um herauszufinden, wer eigentlich ihre Eigentümer sind. Aktien wechseln ständig die Besitzer, und die meisten Unternehmen haben nicht genug Kapazitäten, um genau nachzuhalten, wer da gerade kauft und verkauft. Quick alle größeren börsennotierten Unternehmen greifen daher auf die Daten von S&P zurück. Rund um Übernahmesituationen werden die Daten von S&P besonders wertvoll.
„Ein erheblicher Teil unserer Arbeit ist der Aufwand, die Daten zu sammeln, aber mindestens ebenso viel Arbeit ist nötig, sie zu verarbeiten und zu interpretieren“, sagt Tobias. „Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen rechtlichen Aktionären und wirtschaftlichen Aktionären. Dass hinter der Citigroup oft der Norwegische Staatsfonds steckt, wissen viele, aber für viele andere Konstellationen braucht es eine besondere Kenntnis und Analyse.“
Was Tobias bei der Sache sehr wundert, ist, dass Unternehmen die Dienstleistungen von S&P im Bereich des Aktienmarkts sehr rege nutzen, im Anleihemarkt indes weniger. „Etwas salopp gesagt ist Aktienmarkt Grundschule, Anleihen aber mindestens Abitur“, sagt Tobias. „Die Transparenz im Anleihemarkt ist deutlich schlechter, es läuft viel außerbörslich, aber auch hier lassen sich die Geldflüsse analysieren und Eigentümerschaften ermitteln.“
Und während am Aktienmarkt Kapitalerhöhungen, Übernahmen und Abspaltungen bei einem Unternehmen nicht an der Tagesordnung sind, werden doch sehr regelmäßig neue Anleihen begeben. Bayer hat zum Beispiel vergangene Woche (noch vor dem fiesen Aktienkurssturz am Montag) gleich fünf neue Anleihen im Volumen von knapp 6 Milliarden Greenback mit Laufzeiten von bis zu 30 Jahren begeben, um die weiterhin hohe Verschuldung durch die Monsanto zu finanzieren. Zu Zinsen von intestine 6 Prozent für drei Jahre bis knapp 7 Prozent für 30 Jahre. Eine Zinslast additionally, die sich auf mehrere Milliarden Euro summiert.
„Während Unternehmen mit ihren Eigentümern im Aktionariat sehr regelmäßig reden, findet das bei den Gläubigern quick gar nicht statt“, sagt Tobias. „Die reden nicht mit denen, weil sie die ja nicht kennen.“ Ein Fehler, wie der Datenfachmann meint. „Wenn man die Gläubiger im Sekundärmarkt kennen würde, mit ihnen sprechen würde, ließe sich in vielen Fällen bei der Begebung einer Anleihe ein niedrigerer Zins erreichen“, ist Tobias fest überzeugt. Doch im Anleihemarkt verlassen sich die Unternehmen auf die Banken, glauben, dass am Marktzins, der sich an der Bundesanleihe orientiert, ohnehin nicht viel ändern lasse. „Die Unternehmen sollten kritischer auf den Zins schauen“, sagt Tobias. Da ist er wieder, der Glaube an die effizienten Märkte, die schon den passenden Zins ermitteln. Ein Versäumnis, wie der Exekutivdirektor der Abteilung für Emittentenlösungen von S&P meint, der natürlich auch neue Kundengruppen im Blick hat. Doch dass die Kunden auf dem Anleiheauge bisweilen blind sind, wundert ihn doch sehr.